Vorurteile über Wissen abbauen | gießen

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Vorurteile über Wissen abbauen |  gießen

Gießen (dkl). Am Donnerstagabend hat die Stadt Gießen den Internationalen Holocaust-Gedenktag gefeiert – erstmals in einer konzertierten Veranstaltung mit mehreren Teilnehmern. Obwohl dieser Gedenktag 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog ausgerufen wurde, hat es lange gedauert, bis er sich verbreitet und institutionell verankert hat.

Das überregionale Jubiläum »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« hat insgesamt für Aufmerksamkeit gesorgt. Allen voran der VHS-Verein, der als Bildungspartner von Anfang an dabei war.

Bis in die Gegenwart Jüdisches Leben

Waltraud Burger, Leiterin der Volkshochschule Gießen, hat schon früh ein Programm aufgelegt, das durch Corona-Regeln behindert wurde, aber größtenteils im Laufe des Jahres 2021 stattfand. Dabei wurde ihr klar, dass der Fokus vor allem auf Vergangenheit und Gegenwart liegt des jüdischen Lebens bleibt außen vor. Eine Plakatausstellung der Stiftung Zeitbild in Berlin schließt diese Lücke.

Die bisherige Bürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz und Museumsdirektorin Dr. Katharina Weick-Joch waren sofort begeistert von der Idee, diese 20 Plakatfahnen im Alten Schloss, an den Wänden des Netanja-Saales, zu zeigen. Die Namensgebung erinnert an die frühe Partnerschaft zwischen Gießen und der israelischen Stadt Netanya. Die Gedenktafel zu Netanyas 75-jährigem Bestehen wurde aus dem Depot geholt und nun der Öffentlichkeit präsentiert. Der damalige Hauptansprechpartner auf israelischer Seite, Abraham Bar Menachem aus Wieseck, lächelt seit Jahren wie ein Bronzekopf vor dem Eingang der Halle.

Bei der gut besuchten Ausstellungseröffnung hielten auch Dow Aviv, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Gießen, und Oberbürgermeister Frank Tilo Becher kurze Ansprachen. Für Aviv hatte der Gedenktag bereits am Morgen an der Theo-Koch-Schule in Grünberg begonnen. Sein Hauptanliegen: Wir leben hier und wollen mit allen friedlich zusammenleben. Sprechen Sie uns an, damit wir uns kennenlernen können. »Wir können das Gift des Rassismus nur gemeinsam bekämpfen.«

Oberbürgermeister Becher verwies auf die aktuelle Erfahrung, dass schwer fassbare Ereignisse wie die Corona-Pandemie Verschwörungstheorien und alte Mythen befeuern, die sich in rasender Geschwindigkeit durch die heutigen digitalen Medien verbreiten. Sein Plädoyer lautet: »Vorurteile lassen sich nur durch Wissen abbauen«, Wissen, das durch Lesen und Diskutieren erworben werden kann, was die aktuelle Ausstellung ermöglicht. Er verwies auch auf das Interview, das eine Gruppe der Ricarda-Huch-Schule mit dem Holocaust-Überlebenden Thomas Breuer geführt hat und das auf der Gießener Website abrufbar ist.

Inhaltlich und medial richtet sich die Ausstellung vor allem an Schulen, denn mit QR-Codes lassen sich Informationen vertiefen, die Bilder auf dem Handy oder Tablet werden zu Filmen und man kann Gesprächen lauschen. Anmeldungen erfolgen per E-Mail an [email protected].

Die Plakate stellen vor allem junge Juden in Deutschland vor. Altersmäßig bilden Rabbiner Walter Homolka und Charlotte Knobloch, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in München und Oberbayern, eine Ausnahme. TV-Gesichter sind dabei wie der Schauspieler und Moderator Daniel Donskoy und die Schauspielerin Susan Sideropoulos. Die meisten von ihnen – ein Restaurantbesitzer, ein Rapper, zwei Studenten und andere – leben in Berlin.

Dazwischen stehen einzelne Plakatfahnen mit historischen Informationen, die auf die Anfänge jüdischen Lebens seit 321 n. Chr., auf die gesellschaftlichen Veränderungen im 19. Jahrhundert und die Shoah verweisen. Neben den historischen Berühmtheiten (Heinrich Heine, Rosa Luxemburg, Albert Einstein, Hannah Arendt) lassen sich problemlos weitere aufzählen, doch sollte der Fokus auf der Gegenwart liegen. Vor allem gibt es Tipps und Hilfestellungen für die drängende Frage »Was kann ich gegen Rassismus und Antisemitismus tun?«. Die Themen können auf der Website der Stiftung Zeitbild näher eingesehen werden, wo auch ein Begleitheft zur Ausstellung als pdf zum Download bereitsteht (zeitbild-stiftung.de unter Projekte).

Waltraud Burger hofft noch immer auf die Erlaubnis des Verlags, damit die anschließend aufgezeichnete Lesung der Erinnerungen Max Mannheimers in der Pankratiuskirche auch auf der Website der Volkshochschule bzw. des Museums Gießen eingestellt werden kann. Denn viele Menschen haben in der aktuellen Corona-Situation den Besuch einer öffentlichen Veranstaltung gescheut.