Was Sie über den Frankfurter „NSU 2.0“-Prozess wissen sollten | hessenschau.de

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Alexander M. soll Anwälten, Politikern und anderen Prominenten mit unzähligen rassistischen Briefen gedroht haben. Ab diesem Mittwoch steht er in Frankfurt vor Gericht. Wichtige Fragen und Antworten zum „NSU 2.0“-Prozess.

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Prozess gegen mutmaßlichen „NSU 2.0“-Drohbriefschreiber gestartet

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Am Landgericht Frankfurt startet an diesem Mittwoch die Serie der „NSU 2.0“-Briefe verhandelt. Alexander M. soll jahrelang insbesondere prominente Frauen rechtsextrem oder rassistisch bedroht haben. Worum es in der Verhandlung geht:

was geht es in den Prozess?

Im August 2018 erhielt die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz ein anonymes Schreiben mit der Unterschrift „NSU 2.0“. Es enthält rechtsextreme Beleidigungen. Zudem wurde der Anwältin, die im Münchener NSU-Prozess die Hinterbliebenen eines Opfers vertrat, mit der „Schlachtung“ ihrer damals noch sehr jungen Tochter gedroht.

Laut Anklageschrift ist es der Auftakt der sogenannten „NSU 2.0“-Drohserie, die sich auf die rechtsextreme Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund bezieht. Die letzte E-Mail stammt vom 21. März 2021. Dazwischen wurden mehr als 100 Hassbriefe verschickt. Die Drohserie wurde Ende 2019 bekannt.

Neben Basay-Yildiz gingen die Faxe und E-Mails auch an die heutige Linken-Vorsitzende Janine Wissler und die Berliner Kabarettistin Idil Baydar. Unter den Empfängern der Drohbriefe soll auch die derzeitige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gewesen sein, ebenso der Satiriker Jan Böhmermann und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Allerdings waren es vor allem Frauen, die bedroht wurden.

Warum ist der „NSU 2.0“-Fall so explosiv?

Aus Sicht der Betroffenen selbst kommt neben den rassistischen, sexistischen und antisemitischen Inhalten („Volkspest“, „Abfallprodukt“) und der Androhung von Gewalt auch die Preisgabe personenbezogener Daten wie Privatadressen in Betracht oder Namen von Angehörigen macht die Drohserie „NSU 2.0“ besonders brisant. Die Informationen ließen die Drohungen „als reale Möglichkeit erscheinen“, wie sie kürzlich in einer gemeinsamen Erklärung schrieben.

Nach Bekanntwerden der Abfrage der Personalien von Basay-Yildiz in einer Frankfurter Polizeidienststelle ergab eine Durchsuchung durch die hessische Polizei mehrere Chatgruppen, in denen Polizisten rechtsextreme Äußerungen und Bilder ausgetauscht hatten. Es besteht jedoch kein Zusammenhang zu den Drohbriefen. Dennoch wurde über Polizeicomputer in Frankfurt und Wiesbaden auf einige der in den Briefen verwendeten geheimen Daten zugegriffen.

Im Mai 2021 wurde in Berlin ein arbeitsloser IT-Techniker als mutmaßlicher Urheber der „NSU 2.0“-Drohungen festgenommen. Alexander M. gilt als hochintelligent. Er ist ein Messie, lebt alleine und ohne viele soziale Kontakte. Er ist der Sohn eines Angehörigen der Waffen-SS, der im Prozess möglicherweise eine Rolle spielt. Und er ist Schachspieler, was ihm zum Verhängnis wurde.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Frankfurt hat sich der Mann dazu verleitet, die Daten seiner Opfer in Polizeidienststellen abzufragen, indem er sich als Mitarbeiter der Behörden ausgibt. Dafür gibt es keine Beweise. In der Wohnung des Verdächtigen fanden die Ermittler jedoch Bücher über psychologische und rhetorische Tricks, mit denen sich Menschen täuschen und manipulieren lassen.

Von Seiten der Polizei soll er keine aktiven Unterstützer gehabt haben. Lange gingen Ermittler von einem ganzen Netzwerk von Rechtsextremisten mit Kontakten zur Polizei aus.

Laut Staatsanwaltschaft ist M. bereits wegen Amtsantritts verurteilt worden, weil er sich als Detektiv ausgegeben hatte. Im Schriftwechsel mit einer Behörde schilderte er auch, wie man personenbezogene Daten missbrauchen könne. Er gab zu, dies selbst getan zu haben.

Was will der mutmaßliche Drohbriefschreiber beschuldigt?

Die Staatsanwaltschaft wirft M. 85 Taten vor, darunter 67 schwere Beleidigungen. Darüber hinaus muss sich der 54-Jährige im „NSU 2.0“-Prozess wegen versuchter Nötigung, Drohung, Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, öffentlicher Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung und Besitz von kinder- und jugendpornografischem Bildmaterial verantworten als Verstoß gegen das Waffengesetz. Alexander M. selbst bestreitet alle Vorwürfe.

Wie hat er es bekommen? Ermittler auf der Strecke?

Lange sah es so aus, als wäre nicht klar, wer hinter „NSU 2.0“ steckt. Auch weil der Verfasser der Hassmails den verschlüsselten Tor-Browser nutzte. Schließlich stießen die Ermittler auf der Hassplattform „PI-News“ auf Kommentare, deren Stil dem in den Hassbriefen ähnelte. Sprachexperten analysierten sie. Dasselbe taten sie mit Profilen mit ähnlicher Sprache auf einem Schachportal – weil sich ein Polizist erinnerte, dort in seiner Freizeit auf das Pseudonym des Autors gestoßen zu sein. Den Ermittlern fiel auf, dass die Drohbriefe immer während der Spielpausen verschickt worden waren.

Im Frühjahr 2021 gelang es ihnen, über die Schachseite die dazugehörigen IP-Adressen und Handynummern herauszufinden. Sie führten zu Alexander M., der bei seiner Festnahme am Computer saß. Das Sondereinsatzkommando kam am späten Abend, weil Alexander M. immer online war – der PC des Verdächtigen soll noch laufen, um den Ermittlern die Arbeit zu erleichtern.

Was sagen Sie Opfer?

Viele Opfer der Drohserie „NSU 2.0“ können nicht glauben, dass Alexander M. ganz allein gehandelt hat. In ihrer gemeinsamen Erklärung kurz vor Prozessbeginn forderten sie weitere Ermittlungen, insbesondere mit Blick auf die polizeilichen Datenabrufe in Frankfurt, Wiesbaden, Berlin und Hamburg. Dies gilt insbesondere für die laufenden Ermittlungen gegen die angeklagten Polizisten. Die Justiz muss ihre Ermittlungen auf eine militante, bewaffnete und vernetzte rechtsradikale Szene mit Verbindungen zu den Sicherheitsbehörden ausweiten.

Was spricht gegen die Einzeltäter-These?

Laut einem Zeitungsbericht taz zumindest der erste „NSU 2.0“-Drohbrief an Seda Basay-Yildiz lässt Zweifel an der Einzeltäterthese aufkommen. Die bisherige polizeiliche Abfrage war viel akribischer als bisher bekannt. In mehreren Datenbanken und mit einer Vielzahl von Abfragen zum Anwalt dauerte es mehr als sechs Minuten.

Basay-Yildiz selbst meldet an diesem Tag insgesamt 17 Abfragen zu ihrer Person in drei Polizeidatenbanken – für sie ein Hinweis darauf, dass zumindest am ersten Drohfax auch Polizisten beteiligt waren. Bei einem Telefonat kommt eine solche Detailabfrage nicht infrage. Zudem bleibt unerklärlich, wie die Drohbriefschreiberin später an ihre neue, geheime Adresse gelangte.

Wie Lang dauert der Prozess?

An diesem Mittwoch, 16. Februar, beginnt der Prozess gegen das Landgericht Frankfurt 54 jährige. Alexander M. wird sich voraussichtlich am zweiten Verhandlungstag am Donnerstag äußern. Dabei soll auch ein psychiatrischer Gutachter zu Wort kommen. Als Nebenkläger treten Seda Basay-Yildiz und die Linke-Bundestagsabgeordnete Martina Renner auf. Für den „NSU 2.0“-Prozess sind 14 Verhandlungstage bis zum 28. April geplant, danach tagt das Gericht donnerstags.

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