So harmonisch, so freundlich hätte es werden sollen, allen irdischen Krisen zum Trotz: Ende September sollte von Baikonur aus eine russische Rakete mit einer ganz besonderen Fracht starten – ein europäisches Roboterfahrzeug. Das Team sollte zum Mars fliegen, wo acht Monate später ein russischer Lander den europäischen Rover sanft in den roten Staub fallen ließ. Das ist der Plan.
Die Kehrtwende am Montag: Es ist „sehr unwahrscheinlich“, dass die Mission in diesem Jahr wie geplant abhebt. Das teilte Europas Raumfahrtagentur Esa nach einer Krisensitzung ihrer Mitgliedsstaaten mit. Übersetzt aus dem Diplomatendeutschen heißt das: Es wird nicht passieren.
Der russische Angriff auf die Ukraine bedeutet auch einen Wendepunkt für die internationale Raumfahrt. Früher betonten die Verantwortlichen der Raumfahrt nur allzu gern die vermeintlich verbindende Wirkung ihres Handelns. Sie lobten Partnerschaften und Freundschaften. Sie waren überzeugt, dass die Raumfahrt über den Dingen stünde, unpolitisch sei und irdische Konflikte überwinden könne. All das wird nun hinterfragt. Was dieser Wendepunkt für die Zukunft der Raumfahrt – sowohl in Europa als auch in Russland – bedeuten wird, ist noch lange nicht absehbar. Allerdings werden die konkreten Konsequenzen für laufende Projekte langsam deutlicher.
Der Rover „Exomars“ hat mehr als eine Milliarde Euro gekostet – alles für das Museum?
Insbesondere Exomarewie das russisch-europäische Mars-Programm heißt, dürfte die Auswirkungen von Putins Krieg zu spüren bekommen. Exomare war ursprünglich ein gemeinsames Programm mit der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Als sich die USA 2011 aus dem Projekt zurückzogen und die Europäer nicht genug Geld dafür hatten Exomare Um es alleine zu schaffen, brauchten sie einen neuen Partner. Die Wahl fiel auf Russland. Der Deal: Die Europäer stellen das Roboterfahrzeug, die Russen die Rakete und die Landeeinheit. Im Gegenzug dürfen sie zwei wissenschaftliche Instrumente auf dem Rover platzieren.
Diese Abhängigkeit wird nun zum Problem. Noch ist der Start nicht offiziell abgesagt – die Esa soll alle Optionen prüfen und dann eine förmliche Entscheidung vorbereiten. Doch die Alternativen sind dürftig: Aufgrund der gegenseitigen Stellung der Planeten tut sich nur alle 26 Monate ein günstiger Startpunkt zum Mars auf. Wenn die Esa nicht mit den Russen anfangen will, müsste sie innerhalb von zwei Jahren eine eigene Rakete finden und eine eigene Landeeinheit entwickeln. Ein sehr ehrgeiziger Zeitplan. Wenn zwei weitere Jahre vergehen, würde auch ein dringend benötigter Relaissatellit, der seit Oktober 2016 den Mars umkreist, das Ende seiner Nutzungsdauer erreichen. Das ist durchaus möglich exomarRover, in den Europa mehr als eine Milliarde Euro investiert hat, ist bereit für das Museum.
Auf der Internationalen Raumstation ISS die sache ist noch komplizierter. Der Orbital Outpost war einst ein Projekt des Kalten Krieges. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die Russen jedoch bewusst an Bord geholt, um die Zusammenarbeit im Weltraum zu stärken. Hier gilt die Devise: Ohne den anderen geht es nicht. Der westliche Teil, betrieben von den USA, Kanada, Japan und zehn europäischen Ländern, erzeugt den größten Teil des Stroms. Das russische Segment mit seinen angedockten Raumkapseln hingegen ist dafür zuständig, die langsam sinkende Station von Zeit zu Zeit anzuheben. Eine Trennung beider Teile ist kaum möglich. 400 Kilometer über der Erde sind Russland und der Westen aufeinander angewiesen, wenn beide weiter forschen wollen.
Hinter dem dünnen Vorhang der Zusammenarbeit brodelt es
Entsprechend zurückhaltend fallen die ersten Aussagen aus. „Wir arbeiten weiterhin mit all unseren Partnern zusammen, um den sicheren und kontinuierlichen Betrieb des zu gewährleisten ISS garantieren“, sagte Nasa-Chef Bill Nelson am Dienstagabend in Washington. Auch im wöchentlichen Einsatzbriefing des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) am Dienstag fiel kein Wort über den Krieg und seine Folgen für die ISS oder der deutsche Astronaut Matthias Maurer, der derzeit an Bord ist. Alles wie immer, so die Meldung.
Doch hinter dem dünnen Vorhang der Zusammenarbeit brodelt es. Russlands Raumfahrtchef Dmitri Rogosin, bekannt für seine Provokationen, hat bereits vorgeladen ein Ende der Zusammenarbeit für das Jahr 2024 – das zuvor vereinbarte Lebensende ISS. Die USA würden dieses Datum gerne auf 2030 verschieben.
Überhaupt scheint Rogosin seit einigen Tagen auf privater Kampagne zu sein: In den sozialen Medien wirft er der Esa vor, entweder sich selbst ins Knie zu schießen oder den Kopf in den Sand zu stecken. Auf Telegram verbreitet er Botschaften, in denen Bundespräsident Steinmeier als „Pate des Nazi-Systems“ bezeichnet wird. Er deutet an, dass die ISS könnte den Europäern bei einem Rückzug des Westens – ganz zufällig – auf den Kopf fallen. Er kündigt einen Rückzug des Russen an Sojus-Raketen, mit dem die Europäer bisher in Französisch-Guayana begonnen haben. Er will die einst geschätzten Partner finanziell zur Rechenschaft ziehen – nicht zuletzt die Deutschen.
Insbesondere eRosita scheint den Zorn des russischen Weltraumchefs auf sich gezogen zu haben. Das deutsche Röntgenteleskop ist eines von zwei wissenschaftlichen Instrumenten auf einem russischen Satelliten, der 2019 gestartet wurde. Das teilte die Regierung mit alle Forschungskooperationen mit Russland vorerst auf Eis zu legenwurde das Teleskop über das Wochenende in eine Art Dämmerzustand versetzt. Wie lange? „Da müssen Sie den Herrn im Kreml fragen“, sagt einer der beteiligten Wissenschaftler.
Also vielleicht sehr lange.