Die Ukrainer verteidigen ihre Städte.
(Foto: Bloomberg)
Düsseldorf Die Deutung dieses Krieges bleibt auch in der vierten Woche widersprüchlich. An diesem Freitag senden vor allem von russischer Seite schwer eindeutig zu deutende Signale aus. Während Russlands Präsident Wladimir Putin martialisch auftritt, berichten seine Unterhändler von Fortschritten bei den Gesprächen mit dem Kreml.
Am Mittag versicherte Putin der Bevölkerung seines Landes einen militärischen Erfolg in der Ukraine. „Wir wissen, was wir tun müssen, wie und zu welchem Preis“, sagte er in einer Fernsehansprache vor Zehntausenden im Moskauer Luschniki-Olympiastadion. „Und wir werden alle unsere Pläne absolut umsetzen.“ Die Armee kämpfe „heroisch“.
Andererseits erklärte Russlands Chefunterhändler in Gesprächen mit Vertretern der Ukraine über ein Ende der Kämpfe, Vladimir Medinsky, dass die Frage der Neutralität und der Verzicht der Ukraine auf die NATO-Mitgliedschaft sie näher zusammengebracht hätten. Es wird über Nuancen bei den Sicherheitsgarantien für die Ukraine gesprochen, sollte sie kein NATO-Mitglied werden. Die von Russland geforderte Entmilitarisierung der Ukraine ist auf halbem Weg.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Putin zuvor aufgefordert, unverzüglich einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Laut chinesischen Staatsmedien sagte der chinesische Staatspräsident Xi Jinping im Gespräch mit seinem US-Kollegen Joe Biden, dass niemand ein Interesse an Konflikten wie dem in der Ukraine haben könne. In der Ukraine wurde aus einer Reihe von Städten über fortgesetzten russischen Beschuss berichtet.
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Selenskyj verspricht den Ukrainern Freiheit
Putin sprach erneut von einer „militärischen Spezialoperation“ im Nachbarland. Der Westen und die Ukraine selbst sprechen hingegen von einem Angriffskrieg und einer Invasion. Es gibt keine zuverlässigen Informationen über die genaue Zahl der getöteten Soldaten auf beiden Seiten. Die Uno spricht von mindestens 816 getöteten und 1.333 verletzten Zivilisten. Die tatsächlichen Zahlen dürften weitaus höher liegen.
Die TV-Übertragung von Putins Rede vor Zehntausenden Zuschauern in einem Moskauer Stadion wurde kurzzeitig unterbrochen, wofür der Kreml einen technischen Defekt verantwortlich machte.
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Aus mehreren ukrainischen Städten wurde am Freitag Raketenbeschuss gemeldet, unter anderem von einem Flughafen in der Nähe der westukrainischen Stadt Lemberg. Gleichzeitig griffen laut russischen Quellen prorussische Separatisten die umzingelte südostukrainische Stadt Mariupol an. Sie erhielten Unterstützung von russischen Truppen, berichtete die Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium.
Kiew, Mariupol, Donezk: Russische Angriffe hinterlassen Tod und Zerstörung
Die russische Armee meldete, sie habe 90 Prozent der ostukrainischen Region Luhansk unter ihre Kontrolle gebracht. Die selbsternannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk werden seit 2014 von Russland unterstützt und ausgerüstet. Moskau hat laut britischen Geheimdiensten Probleme, Nahrung und Treibstoff für seine Truppen zu bekommen, weil es keine Luftraumkontrolle hat.
Kämpfen Sie mit unverminderter Heftigkeit
(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beschuldigte Russland, weiterhin humanitäre Korridore in die belagerte Stadt Mariupol zu blockieren. Dort wurden die Rettungsarbeiten an einem Theater fortgesetzt, das nach ukrainischen Angaben von Russland angegriffen worden war. Bisher seien 130 Menschen aus den Trümmern gerettet worden, sagte Selenski. Russland bestreitet den Angriff.
Sowohl die Ukraine als auch Russland meldeten am 23. Kriegstag militärische Erfolge. Nach Angaben aus Kiew halten die Streitkräfte weiterhin die wichtigsten Gebiete, in die die russische Armee vordringen will. Die Truppe habe auf jeden Angriff russischer Einheiten reagiert, sagte Selenskyj in einer Videobotschaft. Selenskyj versprach seinen Landsleuten: „Ihr werdet frei sein.“
Westliche Diplomaten waren Putins Verzögerungstaktik voraus
In den vergangenen Tagen hatte es Hoffnungen gegeben, dass Russland und die Ukraine in direkten Gesprächen einen Waffenstillstand aushandeln könnten. Westliche Diplomaten haben jedoch gewarnt, dass Putin möglicherweise nur Zeit erkauft, um russische Truppen in der Ukraine zu verlegen.
Nach Ansicht westlicher Militärbeobachter war der Vormarsch der russischen Armee seit dem Einmarsch in das Nachbarland vor drei Wochen weit hinter den ursprünglichen Plänen Moskaus zurückgeblieben. „Die russischen Streitkräfte haben diese Woche nur minimale Fortschritte gemacht“, heißt es in einem Bericht des britischen Verteidigungsministeriums.
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US-Präsident Joe Biden und Chinas Präsident Jinping haben am Freitag über den Krieg in der Ukraine gesprochen. „So etwas wie die Ukraine-Krise wollen wir nicht erleben“, wurde Xi in chinesischen Staatsmedien zitiert. Es war erwartet worden, dass Biden den chinesischen Präsidenten in den Gesprächen vor Hilfen für Russland warnen würde.
US-Außenminister Antony Blinken sagte in einem Interview, China trage die Verantwortung für alle Maßnahmen, die es zur Unterstützung der russischen Aggression unternehme. „Wir sind besorgt, dass China erwägt, Russland direkt mit militärischer Ausrüstung für den Einsatz in der Ukraine zu unterstützen“, fügte er hinzu. China hat solche Pläne bislang dementiert. Die Vereinigten Staaten ihrerseits hatten zugestimmt, der Ukraine 800 Millionen Dollar an neuer Militärhilfe hinzuzufügen.
Washington ist auch besorgt, dass China Russland helfen könnte, Wirtschaftssanktionen westlicher Staaten zu umgehen.
Japan verhängte am Freitag weitere Sanktionen gegen 15 russische Einzelpersonen und neun Organisationen. Dazu soll auch der staatliche Waffenexporteur Rosoboronexport gehören. Australien hat die Sanktionen gegen das russische Finanzministerium und 11 andere Banken und Regierungsorganisationen ausgeweitet. Die britische Medienaufsicht Ofcom hat dem russischen Fernsehsender RT mit sofortiger Wirkung die Sendelizenz entzogen.
Drei Millionen Menschen ohne Zuhause
(Foto: IMAGO/Pixsell)
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks haben sich seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar 3,3 Millionen Menschen in Sicherheit gebracht. Nach Angaben der Bundesregierung kamen rund 200.000 Kriegsflüchtlinge in Deutschland an. Die tatsächliche Zahl dürfte noch höher liegen. Erfasst werden nur Flüchtlinge, die von der Bundespolizei – etwa an der österreichisch-bayerischen Grenze, an Bahnhöfen oder in Zügen – angetroffen werden.
Bundesregierung entwickelt neue Sicherheitspolitik
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs arbeitet die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP an einem neuen Sicherheitskonzept für Deutschland. Außenministerin Annalena Baerbock unterstrich die Bereitschaft Deutschlands, sein internationales Engagement für Frieden und Sicherheit zu verstärken.
Nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin darf das Programm des russischen Staatsmediums RT vorerst nicht weiter verbreitet werden. Einen Eilantrag der RT DE Productions GmbH lehnten die Richter ab. Der eigentliche Rechtsstreit ist noch nicht entschieden. Die deutsche Medienaufsicht hatte Anfang Februar ein Sendeverbot erlassen, weil die Sendelizenz fehlte. Auch Großbritannien untersagte RT die Ausstrahlung seines Programms.
Am Wochenende reist der Bundeswirtschaftsminister nach Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate.
(Foto: IMAGO/Chris Emil Janssen)
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagte am Freitag in der ARD: „Wir sollten alles tun, um Putins Macht zu verringern und letztlich zu zerstören.“ Russland raus. „Wenn wir bei Öl und Gas sagen können, dass wir die Lieferketten gesichert haben, können wir den nächsten Schritt tun“, sagte er und bezog sich auf die Bemühungen, die Gasversorgung aus anderen Quellen zu sichern.
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Die Lieferausfälle im Zuge des Ukraine-Krieges seien „schwer“, auch weil die Ukraine kein Getreide mehr in Länder Afrikas liefern könne, sagte Außenministerin Annalena Baerbock.
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