Wirtschaft im Rhein-Kreis Neuss
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„Ein starker Standort braucht Sicherheit“
Interview Was die Wirtschaft zum Überleben braucht: IHK-Präsident te Neues und Geschäftsführer Steinmetz im Gespräch.
Herr te Neues, in Ihrer Rede zu Beginn Ihrer ersten Amtszeit als Präsident der IHK Mittlerer Niederrhein im Jahr 2017 haben Sie die Digitalisierung als eines Ihrer wichtigsten Ziele genannt. Wie weit bist du gekommen?
Elmar te Neues Es geht voran, wir sind auf dem richtigen Weg. Bei der Digitalisierung in Unternehmen kommt es auf drei Dinge an: Der Chef muss vorangehen, die Mitarbeiter müssen es können und die Infrastruktur muss stimmen. Die Industrie- und Handelskammer unterstützt diejenigen, die dazu in der Lage sind, mit vielfältigen Beratungs- und Qualifizierungsangeboten. Bezüglich der digitalen Infrastruktur sind wir mit der Bundes- und Landespolitik in Kontakt, um den Ausbau zu beschleunigen.
In den Gesundheitsämtern liefen während der Corona-Pandemie die Faxgeräte heiß. Was bedeutet es für den Standort, wenn die öffentliche Hand bei der Digitalisierung hinterherhinkt?
das neue Dass immer noch Faxgeräte im Einsatz sind, ist ein Zeichen dafür, dass Deutschland auch im internationalen Vergleich in einigen Bereichen schwach ist. Dies schwächt dann auch die Standortqualität aus Sicht der Unternehmen. In der Bahn fällt das WLAN immer wieder aus, will man ein Auto zulassen, muss jemand mit seinem Ausweis zum Straßenverkehrsamt. Bei der Digitalisierung gibt es noch viel Luft nach oben. Dies gilt jedoch nicht nur für die öffentliche Hand, sondern auch für viele Unternehmen. Viele sind noch sehr analog oder stehen noch am Anfang der Digitalisierung. Längst sprechen wir nicht mehr vom papierlosen Büro, sondern von komplexen Steuerungen ganzer Produktionsprozesse.
Was bleibt vom Digitalisierungsschub in der Corona-Pandemie?
das neue Videokonferenzen haben sich etabliert und sind ein Segen – auch wenn sie den persönlichen Kontakt nicht vollständig ersetzen können. Viele Dienstreisen werden überflüssig, und man kommt dennoch in vergleichsweise persönlichen Kontakt mit Kunden oder Mitarbeitern an anderen Standorten. Das ist übrigens auch gut für den Klimaschutz.
Und schon wieder Corona: Creditreform rechnet mittelfristig mit einem Anstieg der Firmeninsolvenzen. Herr Steinmetz, wie hat die Wirtschaft in der Region die Pandemie bewältigt?
Jürgen Steinmetz Das Jahr 2020 war wirklich schwierig, alle Indikatoren zeigen, dass wir uns in einer tiefen Wirtschaftskrise befanden. Der Wirtschaft in der Region gelang es jedoch schnell, aus dem Krisenmodus auszubrechen. Ein wirtschaftlicher Erholungsprozess setzte ein, der maßgeblich der Industrie in unserer Region zu verdanken ist. Die konjunkturelle Erholung zeigt sich in Zahlen: Anfang 2021 lag der Geschäftslageindex bei minus 8,3, im Frühsommer lagen wir wieder bei plus 8,1, im Oktober bei plus 23,6.
Und wie ist die aktuelle Situation?
Steinmetz Getrübt, wegen der altbekannten Themen: nicht nur Corona, sondern auch Rohstoffknappheit, Energiekosten und Inflation. Der Geschäftslageindex steht aber immer noch bei 20,3. Die Wirtschaft in der Region ist robust. Für 2022 wird allerdings eine Seitwärtsentwicklung erwartet. 2023, so hofft man, geht es wieder aufwärts.
Gilt das für alle Branchen?
Steinmetz Natürlich sind einige Branchen besonders von der Corona-Pandemie betroffen: Freizeit, Gastronomie, Hotels und der stationäre Einzelhandel haben zu kämpfen. Es ist daher richtig, dass die Politik nun schrittweise Lockerungen plant und auch die Wirtschaftshilfen bis zum 30. Juni verlängert werden.
Auch 2017 haben Sie den Fachkräftemangel als eines der drängendsten Probleme im Kammerbezirk bezeichnet. Wie ist der Stand fünf Jahre später?
das neue Das Problem ist immer noch akut und verschlimmert sich sogar. 46 Prozent unserer Mitgliedsunternehmen geben an, unter Fachkräftemangel zu leiden. Vor fünf Jahren waren es 30 Prozent. Die IHK investiert in viele Angebote zur Weiterbildung und Qualifizierung.
Was erwarten Sie von der Politik, um das Problem zu lösen?
das neue Zum Beispiel, dass der Stellenwert der dualen Ausbildung angehoben wird. Es wird oft vermittelt, dass es für alle am besten ist, zu studieren. Die duale, betriebliche Ausbildung bietet beste und durchaus vergleichbare Karrierechancen. Dies muss positiver dargestellt und bewertet werden. Die Forderung nach einem unbürokratischen Fachkräfteeinwanderungsgesetz stellen wir uns der neuen Bundesregierung.
Handeln die Kommunen vorausschauend, um den Standort zukunftsfähig zu machen? Nach langem Tauziehen sind die Pläne für ein interkommunales Gewerbegebiet in Krefeld und Meerbusch an der A44 vorerst vom Tisch. Eine Niederlage für die IHK, die sich dafür eingesetzt hatte?
Steinmetz Das Ergebnis ist absolut enttäuschend. Das Gebiet wurde von allen Beteiligten als Premiumgebiet von nationaler Bedeutung bezeichnet. Nun kommt es darauf an, dass die Kommunen zumindest lokal für sich selbst ein ausreichendes Angebot an Gewerbeflächen schaffen. Dies ist für die Entwicklung des Standorts von großer Bedeutung.
Und die Kommunen handeln danach?
Steinmetz Es gibt auch positive Beispiele. Denken Sie zum Beispiel an das Interkommunale Gewerbegebiet an der Grenze von Grevenbroich und Jüchen. Darüber hinaus sind einige Gewerbeflächen im Regionalplan verankert. Auch das muss entwickelt werden. Auch das Thema Gewerbegebiete sollte die Stadt Neuss im Auge behalten. Dort muss sehr genau analysiert werden, ob noch ausreichend Platz vorhanden ist. In der Vergangenheit betrieb die Stadt eine geschickte Vorratspolitik, die zur Ansiedlung vieler Unternehmen führte, mit dem Effekt hoher Gewerbesteuereinnahmen, die auch zur Finanzierung sozialer und kultureller Projekte verwendet werden konnten. Wer diese behalten will, muss für ein entsprechendes Angebot an Gewerbeflächen für die Zukunft sorgen.
Nun regt sich in der Bevölkerung viel Widerstand gegen neue Gewerbegebiete…
Steinmetz …und für andere Dinge, zum Beispiel Windkraftanlagen oder Photovoltaik in der eigenen Nachbarschaft, obwohl eigentlich allgemeiner Konsens besteht, dass wir den Kohleausstieg und das 1,5-Grad-Ziel für den Klimaschutz erreichen wollen. Das ist eine große Herausforderung für die Politik. Und das erfordert Ausdauer in der Diskussion. Bei Widerständen gegenüber Zukunftsprojekten darf die Politik nach der ersten kritischen Bürgerbeteiligung nicht aufgeben.
Wie hat sich die IHK selbst in den vergangenen fünf Jahren entwickelt und welche strukturellen Veränderungen stehen noch an?
das neue Seit 2017 haben wir gute Fortschritte dabei gemacht, die IHK schlanker und noch serviceorientierter zu machen. Gleichzeitig ist es uns gelungen, die IHK-Beiträge zu reduzieren, ohne das Angebot zu reduzieren. Wir sind effizienter und digitaler geworden. Dies trägt auch dazu bei, näher bei unseren Mitgliedern, bei unseren Kunden zu sein.
Steinmetz So haben wir beispielsweise Tablet-Prüfungen, digitale Mitgliedsausweise, Online-Tools wie den Insolvenz-Check und Beratungszeiten außerhalb der regulären Öffnungszeiten, etwa samstags, eingeführt. Außerdem investieren wir in den Umbau des IHK-Gebäudes in Mönchengladbach und in den Neubau des Bildungszentrums in Neuss. Auch strukturell entwickelt sich die IHK weiter: weg von der klassischen Struktur der Regional- und Fachausschüsse hin zu regionalen Foren und Branchennetzwerken. Ziel ist es, mehr Menschen zu erreichen und Politik und Verwaltung stärker einzubeziehen.
Die Metropolregion Rheinland ist vor allem auf Initiative der Industrie- und Handelskammern an den Start gegangen, macht aber keine sichtbaren Fortschritte. Welches Potenzial sehen Sie in der Metropolregion und wie kann sie dieses Potenzial erschließen?
Steinmetz Ich glaube an das Potenzial der Metropolregion. Allerdings müssen die Strukturen und Gremien neu organisiert werden. Dieser Prozess soll bis Ende des Jahres abgeschlossen sein. Vielleicht war die Metropolregion zu Beginn thematisch zu weit gefasst. In den Bereichen Verkehr und Infrastruktur sowie Energie und Klimaschutz kann sie jedoch eine große Rolle spielen. Mit der Neuordnung gibt es einen neuen Versuch, in Berlin und Brüssel auf unsere auch im internationalen Vergleich sehr starke Region aufmerksam zu machen.
Themenwechsel: Wie beurteilen Sie den Start und das Programm der Ampel in Berlin mit Blick auf die Wirtschaft in der Region?
das neue Ankündigungen zum Bürokratieabbau und zur Vereinfachung von Verwaltungsabläufen sehe ich positiv. Bei allen notwendigen Initiativen zum Klimaschutz wird es darauf ankommen, die Interessen der Industrie nicht aus den Augen zu verlieren und Deutschland im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig zu halten.
Im Rhein-Kreis Neuss sind Politik und Wirtschaft verunsichert und besorgt über die unklare Versorgungssicherheit mit dem möglichen vorzeitigen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung im Jahr 2030. Was passieren muss, damit Unternehmen Planungssicherheit haben und der Standort steht nicht durch Strukturwandel beschädigt?
Steinmetz Der Strukturwandel ist vor allem eine Frage der Energiewirtschaft. Wichtig ist, dass die ambitionierten Ausstiegspläne eine sichere alternative Stromversorgung zu international wettbewerbsfähigen Preisen gewährleisten. Inwieweit dies möglich ist und welche Weichen dafür gestellt werden müssen, haben wir durch ein Gutachten klären lassen. Die Ergebnisse sollen im April vorliegen.
Was kann den Strukturwandel in der Region noch positiv beeinflussen?
Steinmetz Die im Ampelkoalitionsvertrag vereinbarten beschleunigten Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen wirklich kommen. Ebenfalls entscheidend: eine eigene Förderrichtlinie des Bundes und die Abkehr von der Jährlichkeit des Budgets. Finanzielle Hilfen für den Strukturwandel brauchen Planungssicherheit. Auch die direkte Förderung von Unternehmen soll erleichtert werden, etwa um Transformationsprozesse direkt im Unternehmen umzusetzen. Das wäre zum Beispiel für die Aluminiumindustrie im Rhein-Kreis Neuss entscheidend, die noch weiter in die Kreislaufwirtschaft vordringen möchte.
Hohe Energiepreise treffen nicht nur Verbraucher, sondern auch Unternehmen und heizen die Inflation an. Welche Konsequenzen erwarten Sie für IHK-Mitglieder?
Steinmetz 52 Prozent der Unternehmen sehen in den hohen Energiekosten ein wirtschaftliches Risiko, in der Industrie befürchten sogar drei Viertel der Unternehmen dies. Die hohen Energiekosten sind ein wesentlicher Nachteil im internationalen Wettbewerb. In Asien und den USA sind die Energiekosten viel niedriger und in letzter Zeit weniger gestiegen. Es ist daher richtig, dass die Bundesregierung kurzfristig die EEG-Umlage abschaffen will. Allerdings wird das wohl nicht reichen. Teilweise sind die Folgen der Preiserhöhungen so gravierend, dass sich die Produktion nicht mehr lohnt und Anlagen und Maschinen stillgelegt werden, was letztlich die Existenz des Unternehmens bedroht.
Seit Wochen konzentriert sich die Außenpolitik auf den Ukraine-Konflikt. Welche Folgen hätten ein Krieg in der Ukraine und die angekündigten harten Sanktionen gegen Russland für die exportorientierte Wirtschaft in der Region?
das neue Auch wenn Russland derzeit kein besonderer Schwerpunkt der exportorientierten Wirtschaft in unserer Region ist, könnte eine weitere Eskalation des Konflikts zumindest in Zukunft negative Folgen haben. Eigentlich könnte Russland in Zukunft auch als Markt eine größere Rolle spielen. Und natürlich könnte ein Streit mit den zuletzt enorm gestiegenen Gaspreisen eine weitere Kostenexplosion bedeuten. Dies ist unserem Unternehmen ein großes Anliegen.