Lieber klein anfangen – Bildung & Wissen

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Lieber klein anfangen – Bildung & Wissen

Warum der Traum vom Selbstversorger als Hobbygärtner meist etwas zu ambitioniert ist /.

Es ist ein Traum, von dem Menschen gerade in Krisenzeiten gerne träumen: unabhängig von Supermärkten und Lieferketten zu sein, sich selbst zu versorgen mit allem, was der Boden und vielleicht die Scheune hergeben. Die Idee, einem Samen beim Wachsen und einer Frucht beim Reifen zuzusehen, hat sowohl einen romantischen als auch einen handfesten Do-it-yourself-Anspruch.

Nicht wenige unterschätzen, was es bedeutet, seine eigenen Lebensmittel zu produzieren. Wer denkt, dass er neben seinem Bürojob zur Entspannung ein wenig Unkraut jäten und einmal am Sommerabend die Beete gießen kann, wird schnell von Schneckenplagen, Mineralstoffmangel und Wurzelkrankheiten lernen. Gärtner brauchen eine hohe Frustrationstoleranz und – wenn das Projekt auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist – einen langen Atem.

Bisher gibt es keine wissenschaftliche Forschung zu dem Thema, aber viele Erfahrungen von denen, die es bereits ausprobiert haben. Um gerade Anfänger vor typischen Fehlern zu schützen, erzählen viele Hobbygärtner und Selbstversorger in Blogs, auf YouTube-Kanälen und in Büchern von ihren Erfahrungen. Eine Botschaft, die sich immer wieder wiederholt: Einfach loslegen.

Genau so formuliert es Wolf-Dieter Storl. Der Kulturanthropologe und Ethnobotaniker arbeitet unter anderem im ökologischen Landbau und betreute viele Jahre selbst seine vierköpfige Familie auf einem Bauernhof im Allgäu. Seine Erkenntnisse und Tipps gibt Storl auf seinem YouTube-Kanal und in seinen Büchern weiter. Sein wichtigster Rat: Beginnen Sie so klein wie möglich. „Die Leute übertreiben es schnell, weil sie große Träume von allem haben, was im eigenen Garten möglich sein soll“, sagt Storl. Enttäuschungen folgen bald. Stattdessen soll der Garten bestenfalls mit den eigenen Erfahrungen und Fähigkeiten wachsen. Grundsätzlich ist Storl davon überzeugt, dass jeder gärtnern kann. Man muss es nur wollen und bereit sein, viel dafür zu zahlen.

Der wichtigste Verbündete im Kampf um eine reiche Ernte ist der Boden. Je nährstoffreicher es ist, desto besser wachsen und tragen die Pflanzen Früchte. Eine eher magere Basis lässt sich aus Hummus und Mist – vorzugsweise von selbstgezogenen Kaninchen und Hühnern – zu nährstoffreicher Erde verarbeiten.

Wer Platz hat, sollte rundherum und im Garten immer kleine Freiräume lassen, wo sich die Natur völlig ungeplant entfalten kann. „Man kann zum Beispiel einen Streifen Brennnesseln wunderbar wachsen lassen, sie sind die besten Futterpflanzen für Schmetterlinge“, sagt Storl. Auch ein kleiner Teich mit ein paar Kröten trägt zum ökologischen Gleichgewicht im Garten bei. Das ist die beste Voraussetzung, um zu verhindern, dass Schädlinge und Krankheiten die Oberhand gewinnen.

Wer möglichst viel mit selbst angebauten Produkten versorgen möchte, braucht vor allem einen Plan: Was soll wann, wo und in welcher Menge gepflanzt werden. Für das Was, Wann und Wo gibt es Ratgeber, Tabellen, Pflanzpläne in Hülle und Fülle. Autarkie bedeutet auch, nicht alles auf einmal zu säen und zu pflanzen, sondern Salat oder Karotten in Etappen anzubauen, damit sich die Ernte über einen langen Zeitraum erstreckt. Lesenswert ist auch das Thema Mischkulturen, die teilweise erheblichen Einfluss auf den Ernteerfolg haben. Dreamteams sind zum Beispiel Erdbeeren und Lauch, Tomaten und Petersilie, Bohnen und Mais oder Kartoffeln und Meerrettich.

Theoretisch lässt sich natürlich ausrechnen, wie hoch der Jahresbedarf pro Gemüse und Fleisch in einer Familie mit so vielen Mitgliedern sein wird. Am einfachsten ist es, die Quittungen einige Monate aufzubewahren und aufzuschreiben, wie viel Sie von dem kaufen und wie viel Sie verbrauchen. „Was man aber nicht berechnen kann, ist, wie gut ein Gartenjahr wird“, sagt Storl, „das hängt nicht nur vom Wetter ab. Jeder Hobbygärtner hat schon festgestellt, dass bestimmte Pflanzen in einem Jahr besonders gut wachsen und im nächsten wieder andere – nein man weiß, warum das so ist.“

Die Idee der Selbstversorgung sei nur mit Mühe und Engagement und nur teilweise möglich, sagt Judit Pfenning. Sie ist Fachangestellte für Gemüseanbau am Institut für Nutzpflanzenwissenschaften der Universität Hohenheim und erlebt seit vielen Jahren, wie ihre Studierenden regelmäßig ins Schwärmen geraten, wenn sie auf dem gemeinsamen Balkon zum ersten Mal Chilis oder Kartoffeln zur Erntereife bringen. Social Gardening, Urban Gardening, Urban Agriculture, Vertical Farming – Judit Pfenning hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Formen des Gärtnerns kommen und gehen sehen. „Vieles wurde und wird ausprobiert, es gibt sicherlich einige interessante Projekte, aber von Basilikum und Salat allein können wir nicht leben“, sagt Pfenning, dessen Herz nach wie vor für den Erwerbsanbau schlägt, „und vor allem für die, die es tun kämpfen hier in Deutschland.“

Dennoch freut sich Judit Pfenning, dass sich Hobbygärtner dafür begeistern, ihren eigenen Kompost herzustellen, gierige Schnecken von kleinen Pflanzen zu sammeln und im Hochsommer täglich dutzende Gießkannen zu schleppen, um Kartoffeln, Paprika und Gurken aus eigenem Anbau servieren zu können. „Gerade für die Kinder solcher Eltern, weil sie erkennen, was für ein Aufwand es ist, Lebensmittel selbst zu produzieren.“

Eine Tomate, die nicht perfekt rund ist, aber eine Nase hat, wird von Selbstversorgern geschätzt. Er hat die Pflanze selbst aufgezogen, monatelang gegen allerlei Unrecht verteidigt und gepflegt – das Ergebnis mag also durchaus etwas eigenwillig aussehen. Das Obst und Gemüse aus dem Supermarkt betrachten wir mit einem viel würdeloseren Blick, hier sind die Erwartungen ganz andere. Infolgedessen landen jedes Jahr Millionen Tonnen Gemüse auf der Mülldeponie, weil es die Anforderungen für den Verkauf nicht erfüllt. „Wenn das Selbermachen dazu führt, dass die Wertschätzung für unsere Lebensmittel zumindest ein wenig steigt, dann ist schon etwas Gutes getan“, sagt Pfenning.

Die Wertschätzung basiert nicht nur auf dem Preis – Saatgut für Gemüse ist teuer – sondern vor allem auf der Zeit, die Sie Ihren Pflanzen widmen. Wenn Sie Pech haben und keinen phänomenal guten Boden haben, müssen Sie deutlich mehr Energie aufwenden, wenn Sie eine gute Ernte erzielen wollen. „Wenn eine Pflanze ausreichend mit Wasser und Nährstoffen versorgt ist, muss sie nicht tief wurzeln, dann ist der Boden zweitrangig“, sagt Pfenning. Allerdings muss die Versorgung erst einmal stimmen. Und – das ist der zweite Haken – seien Sie sich bewusst, dass all die Dünger und Nährstoffe aus Baumärkten und Gartencentern schnell zu einer Überdüngung und damit zu einer Verschmutzung des Grundwassers führen können.

„Autarkie ist ein extrem beliebtes Wort geworden, aber das hat nichts mit der Realität zu tun“, sagt Ralf Roesberger, der auf YouTube den „Autarkie-Kanal“ und einen Blog zum Thema betreibt. „Wenn man alles wegnimmt, was man nicht selbst herstellen kann, also Getreide, Milchprodukte, Öle und Fette sowie Zucker, dann bleibt nicht viel übrig – Selbstversorgung ist eine Illusion.“ Zumindest Ralf Roesberger hat es versucht. Auf 200 der ihm zur Verfügung stehenden 2000 Quadratmetern hat er Weizen und Roggen angebaut. Stundenlang hämmerte er auf seinen Ohren herum, nur um am Ende ein paar Körner in der Hand zu halten. „Außerdem wurden sie von einem Pilz befallen“, erinnert sich Roesberger. Getreide anzubauen oder Kühe für den Eigenbedarf zu halten, steht in einem Kosten-Nutzen-Verhältnis, das sich kaum rechnet.

Zumindest bei den Hühnern hat es geklappt, sodass Roesberger auf dem Weg, den er in seinem Blog „Neulich im Garten“ beschreibt, einen Schritt weitergekommen ist: Sich und seine Familie mit möglichst vielen Dingen zu versorgen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Wie weit man damit kommt, erklärt er in seinem Buch „Selbstversorgung: Was im eigenen Garten möglich ist“ – eine Leseempfehlung für Menschen, die ehrlich zu sich selbst sein wollen über den eigenen Job, die Zeit, die einem selbst bleibt -Suffizienz-Projekt und die eigenen Ansprüche daran.

Laut Roesberger ist es nicht möglich, sich vollständig vom System zu trennen und sich selbst versorgen zu können. Und auch nicht nötig. „Wenn jeder tut, was er kann, profitieren wir alle“, sagt Roesberger. „Jede Tomate, die nicht aus den Niederlanden zu uns kommt und Ressourcen für den Transport benötigt, ist ein kleiner Beitrag.“ Statt nach dem großen Ideal zu streben, sollte man einfach anfangen, empfiehlt Roesberger.