Spinnenseide im Kampf gegen Krebs

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Spinnenseide im Kampf gegen Krebs
  • VonPamela Dörhofer

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Das Protein p53 schützt vor Tumorbildung. Forschungsteams suchen nach Möglichkeiten, es als Therapeutikum einzusetzen.

Es gibt weitaus klangvollere Namen für das Protein mit dem unscheinbaren Namen p53: „Wächter des Genoms“ heißt es, und 1993 kürten die Experten das 1979 entdeckte Protein zum „Molekül des Jahres“. Was ist das Besondere an p53, dass es so viel Ehre verdient? Das Protein gilt als einer der wichtigsten Kontrollmechanismen in unserem Körper: Als sogenannter Tumorsuppressor ist es maßgeblich daran beteiligt, die Entstehung und das Wachstum von Krebs zu verhindern und entartete Zellen dazu zu bringen, sich selbst zu zerstören; ein Prozess namens Apoptose.

Protein heftet sich an DNA

p53 kann auch Mutationen im Genom erkennen und verhindern, die zu Krebs führen können. Die Voraussetzung für diese vorteilhafte Eigenschaft verleiht dem Protein eine besondere Fähigkeit: Es kann sich an die DNA als Träger der Erbinformation anheften und Gene „anschalten“, die wiederum Zellschäden beseitigen oder im Notfall auch die Suizidprogramm eingeleitet werden. Außerdem ist p53 in der Lage, den Zellzyklus zu unterbrechen und so die Vermehrung verdächtiger oder eindeutig veränderter Zellen zu verhindern.

Die Schlussfolgerung ist, dass das Krebsrisiko steigt, wenn dieses Protein nicht richtig funktioniert. Tatsächlich wird angenommen, dass dies bei etwa der Hälfte aller bösartigen Tumoren der Fall ist – was eine p53-Dysregulation zur häufigsten genetischen Veränderung bei Krebs macht. Erschwerend kommt hinzu, dass es auch mit einer erhöhten Resistenz gegen Chemotherapie verbunden ist.

P53 scheint übrigens nicht nur bei der Krebsprävention eine wichtige Rolle zu spielen: 2016 fanden Forscher des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung heraus, dass der Tumorsuppressor auch die Vermehrung jener Coronaviren hemmt, die Sars-1 verursachen. Der Virologe und Studienleiter Albrecht von Brunn erklärte damals, er vermute, dass p53 auch Gene reguliert, „die an der unspezifischen zellulären Virusabwehr beteiligt sind“.

Vor allem aber wegen seiner nachgewiesenen tumorunterdrückenden Fähigkeiten wird p53 seit Jahren intensiv erforscht – es gilt als vielversprechender Ansatz für eine neue Krebstherapie. Mehr als 20 klinische Studien befassten sich zuletzt mit p53 als möglichem „Krebsimpfstoff“. Die Idee klingt jedoch naheliegend: Da p53 an vielen verschiedenen Prozessen im Körper beteiligt ist, birgt dies auch das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen. Eine weitere Hürde für die Verwendung von p53 als Therapeutikum besteht darin, dass es in der Zelle schnell abgebaut wird. Ein wirklicher Durchbruch ist noch nicht erreicht. Nun aber wollen Forscher des Karolinska-Instituts in Schweden einen Weg gefunden haben, das Protein zu stabilisieren und potenter zu machen.

Stabilisierendes Polymer

Der Stoff, der das ermöglichen soll, stammt aus der Tierwelt: Spinnenseidenprotein. Die Studie wurde im Fachjournal „Structure“ veröffentlicht. „Das Problem ist, dass Zellen nur geringe Mengen von p53 produzieren und es dann schnell abbauen, weil es ein sehr großes und ungeordnetes Protein ist“, sagte Studienautor Michael Landdreh von der Abteilung für Mikrobiologie, Tumor- und Zellbiologie in einer Erklärung des Karolinska Institutet: „Wir wurden davon inspiriert, wie die Natur stabile Proteine ​​herstellt und Spinnenseidenprotein verwendet, um p53 zu stabilisieren. Spinnenseide besteht aus langen Ketten hochstabiler Proteine ​​und ist eines der stärksten Polymere der Natur.“

Gemeinsam mit Forschern des Departements Biowissenschaften, die bereits mit Spinnenseide arbeiten, haben die Mikrobiologen einen kleinen Abschnitt eines synthetisch hergestellten Spinnenseidenproteins an das menschliche p53-Protein angehängt. Als sie den Proteinkomplex dann in Zellen einbrachten, stellten sie fest, dass sie tatsächlich anfingen, p53 in großen Mengen zu produzieren. Das neue Protein hat sich auch als „stabiler als gewöhnliches p53“ erwiesen und war laut Pressemitteilung in der Lage, Krebszellen abzutöten. Als „wahrscheinlichen Grund“ dafür vermuten die Forscher, „wie es dem Spinnenseidenanteil gelang, den ungeordneten Abschnitten von p53 Struktur zu verleihen“.

Als nächstes wollen die Wissenschaftler die Struktur des Proteins im Detail untersuchen und bestimmen, wie seine verschiedenen Teile zusammenwirken, um die Entstehung von Krebs zu verhindern. Außerdem wollen sie herausfinden, wie Zellen von dem neuen, potenteren p53-Protein profitieren – und wie verträglich der Spinnenseiden-Anteil für den Körper ist.

„Die Schaffung einer stabileren Variante von p53 in Zellen ist ein vielversprechender Ansatz für die Krebstherapie, und jetzt haben wir ein Werkzeug, das es wert ist, erforscht zu werden“, sagt Studienautor David Lane, der Ende der 1970er Jahre einer der Entdecker des p53-Proteins war.

Wo genau soll die Reise hingehen? Bei der Entwicklung von p53 als Krebsimpfstoff wollen die Forscher auf eine Technik zurückgreifen, die während der Corona-Pandemie weltweite Berühmtheit erlangte: „Wir hoffen, einen mRNA-basierten Krebsimpfstoff zu entwickeln“, erklärt Lane: „Aber vorher müssen wir das tun wir wissen, wie die Zellen mit dem Protein umgehen und ob große Mengen davon giftig sein können.“

Bei der mRNA-Technologie wird dem Körper der genetische Bauplan für ein bestimmtes Protein injiziert, das menschliche Zellen nach dieser Anleitung selbst herstellen sollen. Seit Jahren wird weltweit daran gearbeitet, dieses Prinzip – auf unterschiedliche Weise – als Therapie gegen Krebs einzusetzen.